Rosa Mystica – die Historie des original Kirchenfensters von Josef Albers

Lange Zeit war die Historie des wohl bekanntesten Kirchenfensters aus der frühen Schaffenszeit von Josef Albers nur sehr lückenhaft vorhanden. Durch intensive Recherchen des Londoner Kunsthistorikers Charles Darwent, der zurzeit im Auftrag der Josef Albers Foundation (Stiftung) USA die erste Albers-Biografie erstellt und dafür auch Unterlagen im Bottroper Stadtarchiv gesichtet hat, sind Schriftstücke und Briefe gefunden worden, die die Entstehung des Originalfensters 1918 für die Bottroper St. Michaels-Kirche fast vollständig wiedergeben. Ergänzt durch die Notiz in der alten Kirchenchronik von St. Michael aus dem Jahr 1942 kann der „Lebenslauf“ des Originalfensters ausreichend abgerundet werden.

Auftraggeber für das Kirchenfenster war der damalige Pfarr-Rektor Bernhard Hugenroth, seit November 1913 als geistliches Oberhaupt für die Michaelskirche zuständig und sicherlich ein Liebhaber von kirchlichen Kunstwerken, wie man aus der Kirchenchronik erkennen kann.

Bereits im Herbst / Winter 1917 muss Josef Albers die ersten Skizzen und Entwürfe für Rosa Mystica angefertigt haben. Dies lässt sich aus seinem Brief vom 03. Januar 1918 an die ausführende Firma, die Glasmalerei und Mosaikwerkstätten Puhl und Wagner – Gottfried Heinersdorff in Berlin-Treptow, schließen. Albers übersendet dabei schon eine zweite Zeichnung und macht darin erste konkrete Angaben zum Fenster. Gleichzeitig bittet er um eine Preisangabe (quasi ein Kostenvoranschlag) für die Ausführung. Seine erste Zeichnung an die Berliner Firma war bei der Post verlorengegangen und er ersucht daher den Fachmann (Gottfried Heinersdorf) um eine Wertangabe der Zeichnung, um bei der Post einen Schadenersatz einzufordern.

Interessant und zum Schmunzeln sind auch die Umstände zur Finanzierung des Fensters. In einem Brief an die Glaswerkstätten vom 02. Februar 1918 bedankt sich Rektor Hugenroth für den Brief der Firma vom 28. Januar an ihn und sichert die geforderten 1400 Reichsmark zu, aber nur, wenn aus dem Entwurf von Josef Albers wirklich alles gemacht wird, was sich herausholen lässt und das Fenster nach Bottrop geliefert wird. Des Weiteren bittet er die Firma darum, ihm einen besonderen Brief zu schicken, in dem nur die Summe von 1000 Reichsmark genannt wird, da er einen Interessenten (Sponsor) gefunden hat, der das Fenster kpl. bezahlen will, aber nicht mehr als 1000 RM geben möchte und auf gar keinen Fall erfahren darf, dass die restlichen 400 RM von ihm (Hugenroth) beglichen werden.

Am 09. Februar 1918 sendet Josef Albers eine ausführliche Beschreibung für die Ausführung des Fensters an Gottfried Heinersdorff. Er räumt dabei ein (Zitat):

 „Weil ich  auf dem Gebiete der Glasmalerei ein Autodidakt bin, zudem  die  ganze Liebe  eigentlich auf den  farbigen Entwurf  (die Zeichnung) gegangen  ist, glaube ich, dass dieser in Eile entstandene  Karton-Erstling viel mehr Mängel hat, als ich weiß“ (Zitat Ende).

Im Weiteren macht er u. a. Angaben zu den Massverhältnissen zwischen Skizze und Karton, zur Gestaltung der Rose als Mittelpunkt mit den inneren und äußeren Steinen und ferner zu den Strahlen, Buchstaben, Rändern und Konturen. Der Brief endet mit der Bitte um eine Zeitangabe für die Anfertigung des Fensters und Rückgabe von Karton und Entwurf (Zeichnung) nach Erledigung der Arbeiten.

Auf diese Vorgaben erhält Albers ein Antwortschreiben, datiert vom 14. Februar 1918, worin der Glasmaler Gottfried Heinersdorff mitteilt (Zitat):

 „dass bis auf einen Punkt in  handwerklicher Beziehung überhaupt keine besonderen Schwierigkeiten vorhanden sind,… Technisch unmöglich ist in der von Ihnen gedachten Form nur die Ausführung des innersten Kreises der Rose, bei der Sie an die Verwendung eines einzigen Glassteines denken. Derartiges gibt es nicht“ (Zitat Ende).

Heinersdorff schlägt für dieses Problem zwei Lösungen vor, wovon er die zweite Lösung, den inneren Kreis mittels roten und blauen Überfanggläsern und einem gehämmerten Ornamentglas zu gestalten, favorisiert.

Diesem Vorschlag stimmt Albers in seinem Schreiben vom 27.02.1918 zu!

Die Anfertigung des Fensters dauert dann bis ca. Ende Juni / Anfang Juli 1918. Am 09. Juli schreibt Albers nach Berlin-Treptow, dass das Fenster mittlerweile in Bottrop eingetroffen, aber noch nicht in die St. Michaels-Kirche eingebaut ist. Er und Rektor Hugenroth wollen sich schnellst möglich darum kümmern.

Dann endlich, am 20. Juli 1918, schreibt Albers an Gottfried Heinersdorff (Zitat): „Vorgestern ist das Fenster glücklich eingesetzt worden. Es wirkt farblich sehr stark. Der Rektor ist sehr erbaut davon“ (Zitat Ende).

Nachdem Albers im weiteren Brieftext noch leichte kritische Anmerkungen zu der Wirkung des Fensters macht, ist er dennoch zufrieden mit der Ausführung (Zitat): „Im Ganzen muss ich die Ausführung loben. Besonders den Rhythmus in den Gläsern der Schrift und ihrer Umgebung“

(Zitat Ende).

Eigentlich sollte man nun denken, es sei danach alles in bester Ordnung gewesen, aber nicht ganz. Knapp 1 ½ Jahre nach dem Einbau des Fensters gab es noch ein kleines Intermezzo fiskalischer Art:

Im Schreiben vom 04. Dezember 1919 der Fa. Puhl und Wagner – Gottfried Heinersdorff an Rektor Hugenroth teilt ihm die Firma mit, dass das Reichsschatzamt die Luxussteuerpflicht für alle Mosaiken und Glasmalereien festgestellt hat, rückwirkend zum 01. Mai 1918, allerdings mit der Einschränkung, dass bei Arbeiten für Kirchen eine Befreiung beantragt werden kann. Daher bittet man also den hochwürdigsten Rektor Hugenroth, die Befreiung beim zuständigen Umsatzsteueramt zu erwirken, um der Firma die Nachzahlung zu ersparen. Man darf annehmen, dass Rektor Hugenroth erfolgreich war.

In den Jahren danach hat das Fenster „Rosa Mystica“ seinen festen Platz in der Michaelskirche und sicherlich oft seine enorme Leuchtkraft und Schönheit den Kirchenbesuchern offenbart. Leider wird das Fenster kaum namentlich erwähnt, möglicherweise auch deshalb, weil es durch seine moderne und abstrakte Gestaltung für die damalige Zeit nicht der gängigen Art von Kirchenfenstern entsprach. Weder in der Kirchenchronik noch in der damaligen örtlichen Presse (Bottroper Volkszeitung) wird etwas über das Fenster berichtet, obwohl Rektor Hugenroth vorhatte, einen Artikel über das Fenster in der Zeitung zu veröffentlichen, wie aus einem Nachsatz im Brief vom 20 Juli 1918 zu entnehmen ist (Zitat):

„ Herr Rektor Hugenroth möchte einen Artikel über die Technik schreiben und lässt um das hierfür versprochene Material bitten“  (Zitat Ende).

Nur einmal, in der Festschrift zum 25. Jubiläum der Michaelskirche wird es bei der Beschreibung der Kirchenausstattung mit einem Satz erwähnt: …das allerdings sehr dunkle, aber bei günstiger Beleuchtung (von außen) farbenprächtige Fenster der Rosa Mystica, der „geheimnisvollen Rose“ hinten in der Kirche

Das traurige Ende des Fensters findet im 2. Weltkrieg statt. Hier berichtet die Kirchenchronik am 16. September 1942 von einer Luftmine, die nahe der Kirche niederging und sie stark beschädigte:

„Das halbe Dach war abgedeckt oder zerrissen. Trotzdem bis zum Fest des  hl. Michael wieder neue Ziegel gelegt waren, litt das Gewölbe stark durch Regen. Fast sämtliche Fenster waren beschädigt, besonders an der Nord- und Ostseite. Einige lagen ganz zertrümmert in der Kirche oder draußen, andere hingen noch zur Hälfte in den Bleifassungen, nur an der Südseite waren 3 ganz geblieben, die übrigen weniger mitgenommen“.

Fast 70 Jahre später hatte unsere Gemeinde einen großen Grund zur Freude. Dank der Josef-Albers-Stiftung und wiedergefundenen Unterlagen und Bildern konnte 2012 das Fenster rekonstruiert werden. Die meisterliche Ausführung von insgesamt 4 gleichen Fenstern erfolgte durch die Glasmalerei Wilhelm Peters in Paderborn, unterstützt von Herrn Oliver Barker von der J.A.-Stiftung in Connecticut, USA. Eins dieser „neuen“ Fenster ging zur Stiftung in die USA, eins besitzt die Glasmalerei Peters, das dritte findet man im Bottroper Museum „Quadrat“ und das vierte seit dem 01. Juli 2012 an seinem ursprünglichen  und schönsten Platz:

In der Marienkapelle der Kirche St. Michael an der Glückaufstraße in Bottrop!

       (Peter Ennemoser)